Kürzestgeschichte Ein Sonntag, in:

Die Sachensucherin, 55 kurze Geschichten,

Klartext-Verlag, 2015

 

"Es war meine Schuld. Ich hatte die Kinder alleine gelassen. Und es war seine Schuld. Er war nach England gefahren. Schuld waren auch der Spielplatz und die Bratwürste. Und der Fonduetopf, die große Flasche, die Schule, das Regal, die Kirche, das Wetter. Vor allem aber die Sonnenblumen. Meterhoch standen sie am Zaun, jeder konnte sie sehen. Sie hatten sich dort ausgebreitet, hatten die Schnecken besiegt, hatten uns angestrahlt, schon seit Wochen. Die Nachbarin wollte einen Strauß für den Gottesdienst, warum nicht. Groß und gelb standen sie auf dem Altar. Hatten uns in die Kirche gelockt. Da saßen wir, geduldig, fünf Kinder und ich. Er war auf Klassenfahrt. Aber alles war gut. Friedlich. Paul und Sara stritten nicht, keiner schimpfte. Hinterh stürzten die Kinder auf den Spielplatz, gleich auf der anderen Straßenseite. Doch wir blieben nicht lange, das Essen musste vorbereitet werden. Nudelsalat. Die beiden Kleinen weinten, als wir gingen, und ich versprach, am Nachmittag noch einmal her zu kommen.

 

Johann hatte ausgeschlafen, David pflückte Himbeeren für den Nachtisch. Paul kümmerte sich um den Grill, nicht zum ersten Mal, die Anzünder lagen bereit, alles war erledigt. Ich zog die Tür hinter mir zu, Lieber die Pferde nicht scheu machen, das Regal ist viel zu hoch, unmöglich für Paul, den Fonduetopf mit der Spiritusflasche da oben zu finden. Ich schnallte Johann und Marie aufs Fahrrad und fuhr los."